Vidovdan: Bedeutung des St. Veitstags für Serbien

28.06.2021

Ohne Zweifel ist der Sankt-Veits-Tag (serb. Vidovdan) das wichtigste Datum im kollektiven Bewusstsein des serbischen Volkes und einer der Grundpfeiler der serbischen kollektiven Identität. Die Tatsache, dass sich an diesem Tag vor vielen Jahrhunderten aber auch in der näheren Vergangenheit, absichtlich oder zufällig, viele Schlachten, Attentate, Aushändigungen, Erfolge und Verluste zugetragen haben, verstärkt den Vidovdanmythos nur noch mehr.

Der Vidovdan (Sankt-Veits-Tag) ist ein kirchlicher Feiertag, welcher jedes Jahr am 28. Juni begangen wird. An diesem Datum trugen sich, absichtlich oder zufällig, sehr viele für das serbische Volk wichtige,Ereignisse zu. Der Vidovdan war oftmals Anlass für die Realisierung politischer Interessen, die Stärkung der Herrschaft oder aber auch Machtdemonstrationen vieler Weltmächte. Was hat sich in der Vergangenheit am Vidovdan zugetragen?

Die Schlacht am Amselfeld

Die Basis stellt die Schlacht am Amselfeld (Kosovo polje) dar, welche sich am 28. Juni/15. Juni 1389, unweit von Priština, ereignete. Ein serbisches Koalitionsheer, unter der Führung von Car Lazar, Vuk Branković und Miloš Obilić, und vielen anderen Verbündeten, stand dem osmanischen Heer unter Murat I. und dessen Söhnen Bayezid I. und Yakub gegenüber. Der Konflikt entstand durch die Offensiven seitens der Osmanen gegen die christlichen Reiche auf der Balkanhalbinsel. In dieser Schlacht fielen sowohl Car Lazar, Herrscher der Moravska Srbija, als auch der osmanische Sultan Murat, welcher von Obilić ermordet wurde. Die Schlacht endete ohne eindeutige Siegermacht, da beide Seiten ihren Anführer verloren, allerdings bedeute dieser Ausgang eine enorme Schwächung der serbischen Mächte. Die Schlacht am Amselfeld wird in der serbischen Geschichtsschreibung als schmerzhafter Verlust des Territoriums an die Osmanen verstanden und bedeutet somit für sie das Ende des mittelalterlichen Serbiens und den Beginn von 500 Jahren Fremdherrschaft der Osmanen am Balkan. (Diese Ansicht, bzw. Theorie, dass dieser Kampf die Entscheidungsschlacht für den “Untergang Serbiens” war, ist aus historischer Sicht nicht haltbar, allerdings ist genau jene Interpretation die Grundlage für den Kosovo- bzw. Vidovdanmythos und das kollektive Trauma des serbischen Volkes.)

In alten „vorkosovarischen“ Kirchenkalendern wird am 28./15. Juni der heilige Veit (serbisch Vid) bzw. Amos gefeiert. Vom serbischen Name des heiligen Veits wurde die serbische Bezeichnung Vidovdan abgeleitet. Veit ist gebürtiger Sizilianer und lebte zur Zeit des Kaisers Diokles und litt als Jüngling im Namen Jesu. Viele slawische Völker ehren diesen Heiligen, eine Reliquie (seine Hand) befindet sich in Prag und in Slowenien sind ihm 76 Kirchen geweiht. Im Westen wird er als Schutzheiliger der Ärzte, Kesselschmiede, Bierbrauer, Schauspieler und Taubstummen verehrt.

Der serbische Kaiser Lazar Hrebeljanović wird von Historikern als kirchlicher Wohltäter und Schutzheiliger bezeichnet. Die serbisch-orthodoxe Kirche sprach ihn, ein Jahr nach der Schlacht am Amselfeld, heilig. Der heilige Lazar wird von diesem Zeitpunkt an am Vidovdan gefeiert.

Am gleichen Tag verehrt die serbisch-orthodoxe Kirche zudem alle Märtyrer des orthodoxen Christentums, von der Schlacht am Kosovo bis zum heutigen Tag.

Der Vidovdan wird gemäßigt, ruhig und ohne Feiern begangen. An diesem Tag werden in serbischen Kirchen alle gefallenen serbischen Soldaten geehrt und dieser Feiertag fällt zudem in die Fastenzeit.

Der Sankt-Veits-Tag beschreibt einen schmerzhaften Verlust und die Erinnerung an diesen teilen so gut wie alle Mitglieder des serbischen Volkes. Dies Arten von Erinnerung werden als kollektive Traumata bezeichnet, welche von Generation an Generation weitergeben werden, um als „Mahnmal“ nicht in Vergessenheit zu geraten.

In jedem Fall ist der Kosomythos für das serbische Volk ein Mittel zur Identitätsbildung und dem Streben nach Freiheit. Der damit verbundene Vidovdan ist in den vergangenen 6 Jahrhunderten bis heute einer der heiligsten Tage in der serbischen Geschichte.

Historische Bedeutung des Vidovdans

Während in diesen Tagen viel über das Thema „100 Jahre seit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges“ gesprochen wird, wird selten erwähnt, dass sich das Attentat von Sarajevo am Vidovdan – einem großen serbischen Feiertag – ereignete. Absichtlich oder zufällig, das wissen wir nicht, allerdings bemerken wir, dass sich viele, für die SerbInnen historisch wichtige, Ereignisse genau an jenem Tag, dem 28. Juni (Vidovdan), zutrugen. Wir werden versuchen diese Behauptung mit einigen Beispielen zu belegen:

– Am 28. Juni 1878 begann die Debatte rund um das Fürstentum Serbien am Berliner Kongress.

– Am 28. Juni 1881 wurde die Geheimkonvention zwischen Serbien und Österreich-Ungarn unterzeichnet. Mit diesem Dokument wurde Serbien vom Kaiserreich Österreich-Ungarn abhängig, bekam aber das Recht zugesprochen ein Königreich zu werden.

– Während am 28. Juni 1914 in ganz Serbien der Vidovdan gefeiert wurde, fielen in Sarajevo Schüsse, welche den Lauf der Geschichte komplett veränderten. Diese Schüsse waren gleichzeitig Anlass für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein Monat später. Gavrilo Princip verübte das berühmt-berüchtigte Attentat von Sarajevo, bei welchem der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin umkamen. Der österreichische Prinz rief mit seiner Reise nach Sarajevo, welche am Vidovdan stattfand, große Empörung beim serbischen Volk hervor, welche dies als Provokation verstand.

– Am 28.06. 1919 wurde der Friedensvertrag von Versailles unterzeichnet, welcher den 1. Weltkrieg offiziell beendete.

– Am 28.06. 1921 führte der König Aleksander Karađorđević die Vidovdaner Verfassung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen ein.

– Am 28.06.1948 beendete die Kommunistische Partei Jugoslawiens die Beziehungen mit den Ländern des kommunistischen Blocks.

– Anlässlich der 600-Jahresfeier der Schlacht am Amselfeld hielt der damalige Präsident der serbischen Republik Jugoslawiens, Slobodan Milošević, eine historische Rede in Gazimestan (Kosovo) am 28. Juni 1989. Genau 12 Jahre später wurde Slobodan Milošević dem Kriegstribunal in Den Haag ausgehändigt. Die Aushändigung an sich war weniger schockierend als das Datum.

Die Geschichte vom Vidovdan und diesem für die SerbInnen schicksalsbringende Datum vervollständigte der 28.06.2006 als sich Montenegro nach dem Maier Referendum als unabhängig von Serbien erklärte und Mitglied der Vereinten Nationen wurde. Die Unabhängigkeitserklärung Montenegros bedeutete den endgültigen Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens.

Als die serbische Teilregion Kosovo im Jahre 1999 den Wunsch nach Unabhängigkeit äußerte, kam es zu einer großen Wiederbelebung des Vidovdan- und Kosovomythos. Zeitgleich kam es im serbischen Volk zum Aufleben alter Erinnerungen, bzw. des kollektiven Traumas, welches vielleicht sehr alt scheint, allerdings noch mehr als lebendig ist. Der Einfluss und die Wichtigkeit haben über die Jahrhunderte seit der Schlacht nicht abgenommen und bestimmen bist heute sowohl gesellschaftliche als auch politische Gegebenheiten in Serbien und dem Kosovo selbst. Durch die Geschichte hindurch war und ist es ein brisantes Thema, welches die Geschichte des Balkans bzw. Europas noch über längere Zeit beschäftigen wird.

Der Vidovdan gilt als Grundstein für die Ideale des serbischen Volkes, welche im Prinzip der christlichen Ethik entsprechen: Gerechtigkeit und Menschlichkeit, Selbstaufopferung, Reue und Vergebung, Geduld und Großherzigkeit. Die historisch bedingte Verknüpfung des Vidovdans mit Verlust, Erniedrigung und Provokation, sowie der politischer Missbrauch vieler Staaten und Mächte werden vom serbischen Volk als Angriff auf dessen kollektive Identität und Geschichte verstanden.

Der Sankt-Veits-Tag ist nicht nur ein einziges Ereignis, welches sich nur einmal und nie wieder zugetragen hat. Viele streuten jedoch Salz in genau jene “serbische” Wunde, welche am meisten schmerzt.

Vielleicht erwartet Serbien morgen, 100 Jahren seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs, abermals die Bezeichnung des Kriegsschuldigen, viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass das morgige Gedenken komplett anders verläuft. Die einzige Sache die bleibt ist, dass es sich, mal wieder, am Vidovdan zutragen wird.

Dijaspora